Wie bauen wir neue Geschichten?
Diese Rubrik ist ein Werkzeugkasten. Er ebnet den Weg aus der Theorie (Ökosysteme) in die Praxis (Projekte).
Gute Geschichten sind nicht "von der Stange" zu haben. Zugleich gibt es standardisiert beschreibbare Schritte, die im Prozess der Entstehung (zumindest im Sektor der Erinnerungskultur) für Geschichten wesentlich sind: (1) Dialogsituation, (2) Formatentwicklung, (3) Beschreibung des Geschäftsmodells (4) Implementierung und (5) Auswertung. Sie sind Rückgrat des Prozessdesigns.
Zur Herstellung der (1) Dialogsituation sind wichtig:
- Kreativitätstechniken
- Dokumentationstechniken
- Wertschätzung
- Befähigung.
Für die (2) Formatentwicklung geht es um die Motivation einer Geschichte und ihre Zielgruppe:
- Warum will eine Geschichte erzählt sein?
- Was macht sie für Euch einzigartig?
- Wer möchte sie mit Euch teilen? Wen geht diese Geschichte etwas an? (Zielgruppen)
- Was sind die neuen Blickwinkel?
- Welche Tabus haben bisher vielleicht verhindert, dass die Geschichte überhaupt erzählt wird?
- Und schließlich: Welches Format bietet sich im Hinblick auf die Verbindung zwischen Motivation und Zielgruppe für das Erzählen der Geschichte an (Ausstellung, Audio, Comic, Bürgerprojekte, Webpage, hybride Formate etc.) ?
Ökosysteme für ein (3) Geschäftsmodell können zum Beispiel das Ehrenamt, gemeinnützige oder profitbasierte Unternehmungen sein. Auf alle Fälle gilt es zu ermitteln:
- Investitions- und Betriebeskostenrechnung
- Förderprogramme
- strategische Allianzen
- Träger (sofern nicht vorhanden)
Für komplexe Projekte (institutionelle Neugründungen, Maßnahmen der Stadtentwicklung etc.) schließt das Geschäftsmodell außerdem ein:
- Value Statement, Vision, Mission
- vertiefte Zielgruppenanalyse
- Risikoanalyse
Für die (4) Implementierung eines Formates kommt es zur Verabredungen der Teilhaber_innen (Stakeholder) über Aufgaben und Ziele. Diese werden (bei großen Projekten) zu Stellenprofilen verdichtet. Kommunikationsknoten und Meilensteine der Projektumsetzung werden definiert. Monitoring und Compliance werden festgelegt.
- Stakeholder
- Organisationsstruktur
- Aufgaben und Zuständigkeiten
- PR-Strategie
- Corporate Design
- Social Media
- Gründung eines Trägers (sofern nicht vorhanden)
Die (5) Auswertung dient dem Abgleich der Zielerreichung. Was ist gut und was ist schlecht gelaufen? Was sind die Ursachen? Welche Erfahrungswerte sind wertvoll für die Zukunft und bieten sich für einen Wissenstransfer an? Dieser Arbeitsschritt bleibt im Projekmanagement häufig vernachlässigt. Er ist für das Qualitätsmanagement jedoch unerlässlich.
Nochmal nachgefragt: Warum überhaupt Werkstätten für neue Geschichten?
Politik und Verwaltung haben im öffentlichen Dialog seit der Erfindung des Internet an Einfluss verloren. Die Macht von Medienkonzernen ist ungebrochen, hat sich aber im Hinblick auf ihren Mechanismus revolutioniert. Stimmen der Ziviligesellschaft sind digital präsenter denn je. Kurz gesagt: Unsere Gesellschaft ist heute diverser und "öffentlicher" als je zuvor in der Geschichte.
Zugleich stellen öffentliche Einrichtungen und Kommunen fest, dass Orte der Erinnerungskultur veröden: Museen klagen über mangelnden Zuspruch bei jungen Zielgruppen, Kommunen über aussterbende Innenstädte. Die Liste ließe sich fortsetzen.
Das Problem hierfür liegt aus meiner Sicht aber nicht bei den ausbleibenden Zielgruppen. Im Gegenteil: Viele Bewegungen zeigen, dass gerade auch nachrückende Generationen politisch und sozial im hohen Maße engagiert sind. Die Krise kultureller Erinnerungsorte liegt demnach vielmehr in fehlenden zeitgemäßen Governance-Modellen für öffentliche Institutionen und Orte begründet.
Politikwissenschaftlich formuliert hat sich in der Erwartungshaltung vieler Menschen ein Wandel vom Government (Politik, Verwaltung) zur Governance (Partizipation vielzähliger Gesellschaftsgruppen) vollzogen.
Öffentliche Kultureinrichtungen und Kommunen sind daher erfolgreich, wenn sie den Beat einer gewandelten Gesellschaft einfangen und mitgestalten. Sie sind erfolgreich, wenn sie ihre Angebote dialogstark, agil und experimentierfreudig erarbeiten. Dazu müssen sie sich auch methodisch neu aufstellen. „Vermittlung“ darf nicht als eine zusätzliche Anstrengung für den Verkauf des eigentlichen Produktes (zum Beispiel einer Ausstellung) verstanden sein. Sondern das Produkt selbst muss der Star sein.
Im Zentrum einer solchen Produktentwicklung steht, so meine feste Überzeugung, die Identifiktation und Entwicklung der richtigen Themen für Geschichten. In der weiteren Geschichtsentwicklung braucht es wiederum Mut und Klarheit für das richtige Format (-> Projekte).
Mitunter sind in der Entwicklung von Geschichten und Formaten auch Kontroversen und Konflikte auszuhalten oder aktiv auszutragen. Wie verabreden wir uns neu und zeitgemäß, um in Erinnerungseinrichtungen Geschichten zu erzählen und zu präsentieren? Diese Frage offen zu adressieren, ist der Schlüssel zum Erzählen guter Geschichten im Kontext der Erinnerungskultur für Heute und Morgen.